Eine Welt ohne Hunger ist möglich

Mit der Sonderinitiative „EINEWELT ohne Hunger“ hat die Bundesregierung Zeichen gesetzt. Die „SEWOH“, wie sie bald hieß, bot haushaltsrechtlich die Chance, sehr flexibel zu agieren und umfassende Beiträge zu SDG2 zu leisten. Politisch bot der Kalender die Chance, über die deutschen G7- und G20-Präsidentschaften die globale Staatengemeinschaft einzubinden. Dass die Zahl der Hungernden seitdem dennoch weiter gestiegen ist, spricht nicht gegen die SEWOH, sondern ist vielmehr die Aufforderung, die gemeinsamen Anstrengungen auf nationaler, europäischer und globaler Ebene weiter zu intensivieren. Auch hierfür bietet der politische Kalender gute Anknüpfungspunkte: Große Erwartungen ruhen auf dem UN Food Systems Summit, und 2022 wird Deutschland wieder die G7-Präsidentschaft übernehmen.

 

2015

Ein Jahr nach dem Start der SEWOH verpflichten sich die G7-Mitgliedstaaten unter deutscher Präsidentschaft beim Gipfeltreffen auf Schloss Elmau dazu, bis zum Jahr 2030 500 Millionen Menschen aus Hunger und Mangelernährung zu führen.

Beim G20-Gipfel in Hamburg wird die G20-Initiative für Jugendbeschäftigung im ländlichen Raum verabschiedet. Bis 2022 werden im Zuge dieser Initiative fünf Millionen Jugendliche von Ausbildungsprogrammen profitieren und eine Million Arbeitsplätze für junge Menschen entstehen.

2017

2017

Als Mitgliedstaat der EU trägt Deutschland entscheidend dazu bei, dass die Verbesserung des Ernährungsstatus als priorisierte Verantwortung in den neuen europäischen  Entwicklungskonsens aufgenommen wird, zu dem sich die EU und ihre Mitgliedstaaten verpflichten.

Das BMZ macht Nachhaltigkeit in globalen Agrarlieferketten zu einem Schwerpunkt der EU-Ratspräsidentschaft. Gleichzeitig fordert das Europäische Parlament Menschenrechtsverletzungen und Entwaldung in globalen Lieferketten zu stoppen.

2020

2020

Das BMZ setzt ein Signal für SDG!2, indem es zwei wissenschaftliche Studien vorstellt, von der Forschungsgemeinschaft Ceres2030 und von der FAO gemeinsam mit dem Bonner Zentrum für Entwicklungsforschung (ZEF). Sie belegen, wie eine Welt ohne Hunger erreicht werden kann. Die Botschaft: Wir haben kein Erkenntnisproblem, sondern ein Handlungsproblem!

Mit dem Sorgfaltspflichtengesetz bringt die Regierung auf Initiative von Bundesentwicklungsminister Dr. Gerd Müller und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil verbindliche Regeln für Unternehmen für die Einhaltung von Menschenrechten in Lieferketten ein. Die Europäische Kommission schlägt im Sommer Gesetze zur Einhaltung von Menschenrechten und Umweltschutz in Lieferketten vor.

2021

2022

Die deutsche G7-Präsidentschaft bietet die Chance, das Momentum gegen Hunger aufrechtzuerhalten und die Umsetzung unserer Ziele ambitioniert weiter voranzutreiben.

Von Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ)

Im Mittelpunkt der Arbeit des Bundesentwicklungsministeriums steht das Engagement gegen Armut und Hunger und für gesunde Menschen in einer gesunden Umwelt. Das BMZ versteht sich als Transformationsministerium, das weltweit den Umbau hin zu einer nachhaltigen, klima- und naturverträglichen Wirtschaftsweise voranbringt und zugleich Frieden, Freiheit und Menschenrechte stärkt.

 

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Obwohl auf der Erde ausreichend Nahrungsmittel produziert werden, um die Menschheit ernähren zu können, leiden über 810 Millionen Menschen akut unter Hunger – beschleunigt durch die Covid-19-Pandemie stieg die Zahl der Hungernden allein im Jahr 2020 um 120 Millionen. Zwei Milliarden Menschen sind mangelernährt. Besonders grotesk ist, dass zwei Drittel aller Hungernden auf dem Land leben, obwohl dort das Gros der Nahrungsmittel produziert wird. Gründe dafür sind Armut, Ungleichheit, Krisen und Konflikte, schlechte Regierungsführung, mangelnde Infrastruktur und zunehmend die Auswirkungen des fortschreitenden Klimawandels. Die Hoffnung der Weltgemeinschaft, dass sich im Zuge der Globalisierung der Hunger durch offene Grenzen und internationalen Handel beseitigen lässt, wurde enttäuscht. Viele Entwicklungsländer vernachlässigten unter dem Eindruck niedriger Agrarpreise die eigene landwirtschaftliche Produktion und vertrauten zur Ernährung ihrer Bevölkerung auf den günstigen Import von Nahrungsmitteln. Auch die Entwicklungspolitik vernachlässigte das Thema lange. Doch mit steigenden Weltmarktpreisen wurde spätestens 2008 deutlich, dass der eingeschlagene Weg der Falsche war.

 

Der Schlüssel zur Beendigung von Hunger und Mangelernährung ist und bleibt die Entwicklung der lokalen Agrar- und Ernährungswirtschaft.

 

Das war die Überzeugung, der Bundesentwicklungsminister Dr. Gerd Müller kurz nach seinem Amtsantritt 2013 folgte, als er die SEWOH auf den Weg brachte. Ihre Vision ist, SDG2 zu erreichen, und zwar ohne die planetaren Grenzen zu sprengen. In der Vergangenheit konzentrierten sich Ansätze zur Hungerbekämpfung oftmals einseitig auf die Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion – mit gravierenden Folgen für Mensch und Umwelt. In der SEWOH werden Fortschritt und Innovation in den Dienst einer ressourcenschonenden und nachhaltigen Landwirtschaft gestellt. Dazu wurden in vielen Partnerländern Netzwerke geknüpft und die Agrarforschung mit der Anwendung, die Wirtschaft mit der Zivilgesellschaft, Landwirt:innen, selbst ja meist Kleinunternehmen, mit KMU des Agrarsektors zusammengebracht. Bildung und Ausbildung wurden ins Zentrum gerückt, besonders die von Frauen und Jugendlichen. Frauen sind der Schlüssel zu Entwicklung. Ihr rechtlicher Status, ihre berufliche Bildung, der Anspruch auf Landrechte, die Möglichkeit, ihre Betriebe zu finanzieren, all das steht in direktem Zusammenhang zur Produktivität. Mehr dezentrale Produktion und regionaler Handel mit landwirtschaftlichen Produkten auf fairen Märkten, der Ausbau agrarökologischer Ansätze, mehr Wertschöpfung in unseren Partnerländern, stärkere, an die lokalen Gegebenheiten angepasste Mechanisierung, der Einsatz erneuerbarer Energien und das nachhaltige Management von Wasserressourcen – in den dazu notwendigen Innovationen liegen die entscheidenden Hebel zur Bekämpfung des Hungers. Covid-19 hat zudem nachhaltig die Bedeutung digitaler Hilfsmittel bei der Erzeugung von Nahrungsmitteln unterstrichen.

 

Zusammengeführt und umgesetzt werden diese Ansätze unter anderem in den Grünen Innovationszentren, aber bei weitem nicht nur dort: Für die Selbstorganisation von Kleinbäuerinnen und Kleinbauern wurden genauso neue Kooperationsformen und Partner gesucht und gefunden wie funktionierende Genossenschaften und die Förderung der Gründung kleiner und mittlerer Unternehmen aus landwirtschaftlichen Betrieben heraus. Mit rund 1,5 Milliarden Euro jährlich ist das BMZ derzeit einer der weltweit größten Geber im Bereich Ernährungssicherung und ländliche Entwicklung. Um der SEWOH international die notwendige Schubkraft zu verleihen, mussten zunächst auf nationaler Ebene die Voraussetzungen geschaffen werden. Zusätzliche, flexibel einsetzbare Mittel, gespeist aus einem eigenen Haushaltstitel, haben es möglich gemacht, neue Ansätze zu testen und in die Breite zu tragen. Das hat den Weg sogar in den Koalitionsvertrag 2018 gefunden: „Die Überwindung von Hunger und Armut in der Welt ist ein wesentliches Ziel unserer Entwicklungspolitik. Wir wollen die ländlichen Räume auch im Rahmen der Sonderinitiative stärken und stellen die Förderung von Kleinbäuerinnen und -bauern, lokale nachhaltige Lösungen und genossenschaftliche Ansätze in den Vordergrund.“ Als der Ausbruch der Covid-19-Pandemie die Welt ein Jahr später mit völlig neuen Herausforderungen konfrontierte, erwiesen sich die in den Vorjahren erfolgreich etablierten Strukturen der SEWOH als handlungsfähig, belastbar und damit besonders segensreich: Flexibel, gut verankert und vernetzt konnte das BMZ durch kurzfristige Umplanungen vorhandener Mittel und den effizienten Einsatz zusätzlicher Mittel, die der Bundestag kurzfristig zur Verfügung gestellt hatte, einen wichtigen Beitrag leisten, um den von Corona und seinen Begleitumständen ausgelösten negativen Effekten bei Hungerbekämpfung und Ernährungssicherung in den Partnerländern der Entwicklungszusammenarbeit entgegenzuwirken. Das Jahr 2030 rückt näher. Um das ambitionierte Ziel einer Welt ohne Hunger erreichen zu können, hat das BMZ die Anliegen der SEWOH von Beginn an in globale Prozesse integriert. So nutzte die Bundesregierung 2015 die deutsche G7-Präsidentschaft, um das gemeinsame Ziel zu verankern, 500 Millionen Menschen aus Hunger und Mangelernährung zu führen. Im Jahr 2017 lancierte das BMZ erfolgreich die G20-Initiative für Jugendbeschäftigung im ländlichen Raum. Bis 2022 sollen so fünf Millionen Jugendliche von Ausbildungsprogrammen profitieren und eine Millionen Arbeitsplätze für junge Menschen entstehen. Auf europäischer Ebene wurde 2017 die Verbesserung des Ernährungsstatus als priorisierte Verantwortung in den neuen europäischen Entwicklungskonsens aufgenommen, zu dem sich die EU mit ihren Mitgliedsstaaten verpflichtet.

 

Die SEWOH ist auch Bestandteil eines neuen Partnerschaftsmodells des BMZs und seiner afrikanischen Partnerländer, des 2017 vorgestellten „Marshallplans mit Afrika“. Er bildet den konzeptionellen und inhaltlichen Schirm der deutsch-afrikanischen Entwicklungszusammenarbeit und knüpft direkt an die Agenda 2063 der Afrikanischen Union an. Ebenfalls im Jahr 2017 wurde unter deutscher G20-Präsidentschaft die Initiative „Compact with Africa“ ins Leben gerufen. Gemeinsam mit der Weltbank und weiteren Partnern unterstützt Deutschland besonders reformorientierte Länder in Afrika dabei, ihre wirtschaftlichen Rahmenbedingungen weiter zu verbessern und so attraktiver für private Investor:innen zu werden, die gerade im ländlichen Raum Afrikas dringend benötigt werden. Das erzeugte Momentum ist also beeindruckend. Aber dennoch: Pandemien, Klimawandel und Krisen haben eine Welt ohne Hunger scheinbar wieder in weite Ferne gerückt. Trotz des deutschen, europäischen und internationalen Engagements ist die Weltgemeinschaft weit davon entfernt, SDG"2 pünktlich zu erreichen. Nachdem bis in die 1990er Jahre die Anzahl der hungernden Menschen halbiert werden konnte, ist die Zahl zuletzt wieder merklich angestiegen.

 

Grund zur Selbstreflektion: Im Oktober 2020 hat das BMZ in Berlin neue Forschungsergebnisse präsentiert, die neben der Höhe der nötigen Investitionen auch die effektivsten Maßnahmen zur Hungerbekämpfung aufzeigen. Die Ergebnisse wurden Bundesminister Dr. Gerd Müller und EU-Entwicklungskommissarin Jutta Urpilainen überreicht. Die Wissenschaft schätzt, dass jährlich etwa 40 Milliarden US-Dollar zusätzlich erforderlich sind. Das klingt nach sehr viel Geld, und bis 2030 summiert sich das natürlich erheblich. Wenn aber Bedeutung und Dimension des Zieles im globalen Maßstab in den Blick rücken, relativieren sich die Zahlen schnell. Allein, wenn die G7 ihre Elmau-Verpflichtung einlösen würden, wäre schon ein großer Schritt getan. Aber auch auf unsere Partnerländer kommt es an, sie müssen mitanpacken, politisch und finanziell.

 

Die wissenschaftlich gestützten Erfahrungen und Ergebnisse der SEWOH sind eine starke Grundlage für das weitere Engagement.

 

Für den Rest muss privates Kapital mobilisiert werden. Das BMZ setzt aus dieser Perspektive heraus große Hoffnung auf den anstehenden Food Systems Summit der Vereinten Nationen zur Transformation der weltweiten Ernährungssysteme und seine nachfolgenden Mechanismen sowie die im nächsten Jahr kommende deutsche G7-Präsidentschaft. Die wissenschaftlich gestützten Erfahrungen und Ergebnisse der SEWOH sind eine starke Grundlage für das weitere Engagement. Dies wird im BMZ auch mit einer neuen Kernthemenstrategie verstetigt. Das Thema ländliche Entwicklung, Ernährungssicherung, Landwirtschaft wird dabei tief in der bilateralen Arbeit des BMZs verankert und in einen strategischen Kontext gestellt. Als eines von nur fünf Kernthemen wird „Eine Welt ohne Hunger“ (EWOH) zukünftig Teil der „DNA“ des BMZs sein. Bei den allgegenwärtigen Überlegungen zum besseren Wiederaufbau nach der Pandemie, dem recover forward better, können wir auf die Expertise unserer Durchführungsorganisationen, der Zivilgesellschaft, der Wissenschaft und der Privatwirtschaft zählen.


Besonders gebündelt ist diese umfassende Fachkenntnis und Erfahrung im Strategischen Begleitkreis der SEWOH, einem aus Sicht des BMZs in Rang, Diskussionsqualität und Ergebnisorientierung herausragenden Beratungsgremium, das in vergleichbarer Weise für kaum ein anderes Themengebiet existieren dürfte. Die größte Stärke des Strategischen Begleitkreises ist die Bereitschaft seiner Mitglieder, bei Themen, die in der Breite der bundesdeutschen Gesellschaft, aber auch auf europäischer und globaler Ebene zunehmend polarisierend diskutiert werden, konstruktiv im Gespräch zu bleiben und nach gemeinsamen Lösungen zu suchen. Ernährungssicherung, Agrarwirtschaft und die Transformation der ländlichen Räume sind einige der komplexesten Aufgaben überhaupt. Sie berühren fast alle SDGs direkt oder mittelbar, was der Vorbereitungsprozess zum Food Systems Summit ebenso eindrucksvoll unterstreicht wie das kürzliche Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung zur „Globalen Landwende“. Für das dort skizzierte Trilemma von Ernährungssicherung, Verlust der Biodiversität und dem fortschreitenden Klimawandel gibt es keine einfachen Lösungen, vor allem keine, die ohne ein lösungsorientiert arbeitendes, breites Bündnis verschiedener Interessensgruppen umsetzbar wären.


Das alles macht unsere Arbeit so komplex und herausfordernd, wie auch spannend und erfüllend. Die Bezüge in unsere eigene Lebenswirklichkeit sind ständig präsent: Das Zurückdrängen der Wildnis durch den Menschen fördert Zoonosen, was zu Erscheinungen wie Covid-19 führt. Der Klimawandel führt immer häufiger zu Extremwetterlagen und macht im schlimmsten Fall Teile der Erdober! äche unbewohnbar, weil es an fruchtbaren Böden fehlt. Regionale Ressourcen- und Nahrungsmittelknappheit kann zu bewaffneten Konflikten führen. Tropenwälder werden teils aus Profitstreben, teils aus sozialer Not gerodet. Die Liste der Beispiele könnte beliebig weitergeführt werden, aber eines ist klar: Hinter vielen Herausforderungen der Zukunft steht die Frage nach nachhaltiger Nahrungsmittelproduktion, nach nachhaltiger Land- und Forstwirtschaft und nach lebenswerten ländlichen Räumen. Mit fast allen Aspekten ist zudem der Klimaschutz verknüpft, wobei Landwirtschaft nicht – wie oft zu hören ist – nur das Problem, sondern immer häufiger auch Teil der Lösung ist. Was passt da besser als ein Ansatz, der sich auf eine breite gesellschaftliche Grundlage stellen will, holistisch denkt und die Dinge innovativ anpackt?

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