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David Brand (GIZ) berichtet im Interview mit Barbara Hofmann über einen Open-Innovation Ansatz, wie sich Entwicklungsherausforderungen als Geschäftschancen gemeinsam mit der Privatwirtschaft nachhaltig lösen lassen.
Herr Brand, heute ist der „International Day of Awareness of Food Loss and Waste“. Sie arbeiten in beratender Funktion im lab of tomorrow aktuell an der Etablierung eines Kreislaufsystems für Nahrungsmittel in Rwanda. Können Sie uns mehr darüber erzählen?
In Rwanda gibt es eine schnell wachsende Bevölkerung, gleichzeitig kommt es zu einer starken Urbanisierung. Aktuell herrscht hier ein linearer Umgang mit Lebensmitteln, was unter anderem die Ausbeutung endlicher Ressourcen vorantreibt und durch Umweltverschmutzung die menschliche Gesundheit schädigt. Hinzu kommen erschwerende Faktoren wie ein beschränkter Zugang der Gesamtbevölkerung zu Nahrung, geringe landwirtschaftliche Produktivität und Nachernteverluste. Ein Kreislaufsystem könnte natürliche Systeme regenerieren und Abfälle wiederverwenden.
Dieser Aufgabe haben wir uns im lab of tomorrow angenommen. Im März dieses Jahres starteten wir zusammen mit der Schweizer “Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA)” und dem “Competence Center for Social Innovation (CSI-HSG)” an der Universität St. Gallen eine sogenannte „Challenge“, um den Bedarf nach einem nachhaltigeren System im Umgang mit Lebensmittel zu erfüllen. Gemeinsam mit lokalen Stakeholdern und europäischen Partnern konnten wir mithilfe von Design-Thinking-Methoden fünf konkrete Herausforderungen identifizieren und neue Geschäftsmodelle entwickeln. Diese befinden sich aktuell in der Inkubationsphase und werden auf ihre Tragfähigkeit am Markt getestet.
Was macht das lab of tomorrow besonders? Wie funktioniert dieser Ansatz zur Lösung von Entwicklungsherausforderungen zur Erreichung der SDGs?
Das lab of tomorrow ist ein holistischer Ansatz, um den Privatsektor in die Erarbeitung nachhaltiger Lösungen für SDG-relevante Herausforderungen einzubinden. Nach wie vor sind viele Ansätze der Entwicklungszusammenarbeit transaktional und top-down ausgerichtet, das heißt: nicht die Menschen und Unternehmen vor Ort, sondern Organisationen in der Entwicklungszusammenarbeit legen die wichtigsten Parameter und Formate fest. In Abhängigkeit von der Unterstützung durch Akteur*innen der Entwicklungszusammenarbeit und mit wenig Raum für nutzer*innenzentrierte Innovation birgt das die Gefahr, dass die Wirkung der Maßnahmen begrenzt und kurzfristig ist.
Im lab of tomorrow wird deshalb ein anderer Ansatz verfolgt. Wir begeistern die lokale und europäische Wirtschaft für ihre aktive Mitwirkung und unterstützen sie dabei, Produkte und Dienstleistungen zu schaffen, die zur Lösung konkreter Herausforderungen in Entwicklungs- und Schwellenländern beitragen. Die entstandenen Produkte sind wirtschaftlich tragfähig, werden von den Unternehmen selbst am Markt etabliert und skaliert. Somit schaffen wir besonders wirksam nachhaltige Lösungsansätze: Aus Entwicklungsherausforderungen werden Geschäftschancen. Wir nutzen die Ressourcen und Kapazitäten des Privatsektors in Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländern für die Entwicklung und Umsetzung von wirkungsvollen und marktbasierten Lösungen.
Sie haben bereits erwähnt, dass es eine Inkubationsphase gibt und die Prinzipien des Design-Thinking angewendet werden. Wie genau läuft ein lab of tomorrow ab? Könnten Sie uns den Prozess etwas genauer beschreiben?
Das lab of tomorrow ist ein dreistufiger Prozess, der durchschnittlich neun Monate dauert. Initiiert wird er beispielsweise durch eine externe Organisation, die mit einer länderspezifischen Herausforderung an uns herantritt. Der Prozess startet dann, unter der Voraussetzung, dass es wirtschaftliches Potenzial erkennen lässt, mit einer detaillierten Analyse dieses Entwicklungsproblems. Dafür betreiben die Initator*innen der „Challenge“ in der ersten Phase direkt vor Ort nutzer*innenzentrierte Forschung, um die Zielgruppe genauer kennenzulernen.
Darauf folgt ein sogenannter „Ideation Sprint“. In dieser Phase bilden Vertreter*innen lokaler und europäischer Unternehmen interdisziplinäre Teams, um innovative Produkte und Services zu entwickeln, die zur Lösung der Challenge beitragen. Die Teilnehmenden werden von den Initator*innen vorab auf ihre Eignung geprüft und selektiert und zusätzlich von Expert*innen aus Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft unterstützt. Der Ideation Sprint selbst wird meist von einer professionellen Design-Thinking Agentur umgesetzt. Die teilnehmenden Unternehmen bringen dabei ihr bereits vorhandenes Know-How und notwendige Ressourcen ein. Dadurch können gemeinsam marktorientierte Geschäftslösungen unter Anwendung innovativer und kreativer Methoden entwickelt werden.
In der anschließenden Inkubationsphase entwickeln die Teilnehmenden passende Geschäftsmodelle für Ihre Produkte und Dienstleistungen. Dazu testen Sie ihre neuen Geschäftsmodelle regelmäßig mit potenziellen Kund*innen und verbessern sie, bis ihre Tragfähigkeit validiert werden kann. Das führt schlussendlich zur Gründung investitionsfähiger Start-ups oder Joint Ventures, die keine weitere Unterstützung durch Entwicklungsorganisationen mehr benötigen.
Das klingt nach einem komplexen, aber sehr spannenden Prozess, Herr Brand. Haben Sie für ein solches Geschäftsmodell ein Beispiel?
Es konnte beispielsweise ein Geschäftsmodell entwickelt werden, das die Fischerei in Kenia direkt mit Restaurants und Hotels in den Städten verbindet. Bisher gab es ein Überangebot an hochwertigem Fisch in ländlichen Gebieten und eine ungedeckte Nachfrage in den Städten. Da sich Angebot und Nachfrage bei diesem leicht verderblichen Produkt nicht abstimmten, verdarb auf dem Weg in die Städte ein großer Teil des Fischs. Das Unternehmen „GoodFish“ bietet nun einen Online-Marktplatz und eine durchgehende Kühlkette auf dem Transportweg an. Dadurch erhalten Kund*innen in den Städten Qualitätsfisch, während die Fischer*innen vor Ort mehr von ihrer Ware verkaufen können. Außerdem werden so Nahrungsmittelverluste und Lebensmittelverschwendung effektiv verhindert.
Können Sie schon auf weitere Prozesse zu Nahrungsmittelverlusten und Lebensmittelverschwendung zurückblicken? Gibt es weitere Erfolgsgeschichten?
Bisher konnten wir schon drei lab of tomorrow-Prozesse starten, die sich konkret mit Nahrungsmittelverlusten und Lebensmittelverschwendung auseinandergesetzt haben: der bereits beschriebene Prozess für eine Kreislaufwirtschaft in Rwanda und zwei Prozesse in Kenia. Einerseits für gekühlte Nahrungsmitteltransportketten, in dem „GoodFish“ entstand, und andererseits zur Verhinderung von Nahrungsmittelverlusten in der Produktion. Dieser Prozess war besonders erfolgreich. Leider wird in Kenia 40 Prozent des produzierten Obsts und Gemüses, das zumeist für den europäischen Markt bestimmt ist, aufgrund von optischen Merkmalen oder kurzfristigen Änderungen von Bestellmengen weggeschmissen. Hier hat sich „Wheeling Fruits“ am Markt etablieren können, um dieses Problem zu lösen. Statt die Überproduktion an „hässlichen“ Mangos zu entsorgen, werden mobile Trocknungsanlagen eingesetzt, um ein sicheres und haltbares Lebensmittel herzustellen und den Landwirt*innen ein weiteres Einkommen zu verschaffen.
Wir haben aber auch Geschäftsmodelle zur Verminderung von Nahrungsmittelverlusten in Prozessen entwickeln können, die sich ursprünglich nicht direkt mit dieser Herausforderung auseinandergesetzt haben. Aus unserem Prozess zu nachhaltiger Energie in Uganda ist das Unternehmen „Wamala Energy“ entstanden, das mithilfe von solarbetriebenen Kühlmaschinen die Produktion von Milch effizienter und ertragreicher für die Menschen vor Ort machen konnte. Hoffentlich können wir in Zukunft von vielen weiteren Erfolgsgeschichten berichten.
Können Sie schon einen kleinen Ausblick geben? Was können wir uns in Zukunft vom lab of tomorrow erwarten?
Grundsätzlich können wir schon sehr stolz darauf sein, was wir bisher erreicht haben: 226 Unternehmen, darunter Bayer, Merck, SAP, Siemens und TUI, haben bereits an elf abgeschlossenen Prozessen teilgenommen. Von 58 entwickelten Geschäftsmodellen sind derzeit zwölf am Markt und haben Investitionen von über 6,5 Mio. € erhalten.
Ich denke, wir können daher sehr optimistisch in die Zukunft blicken, denn das lab of tomorrow ist ein skalierbares Werkzeug, das erlaubt Entwicklungsprobleme wirtschaftlich und nachhaltig zu lösen. Als solches kann es von allen Einrichtungen in der Entwicklungszusammenarbeit angewandt werden. Bei unserem Start begann es mit ein bis zwei Prozessen pro Jahr, die nacheinander durchgeführt wurden. Heute werden sechs Prozesse parallel realisiert. Dabei initiiert nicht mehr nur die “Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ)” die Prozesse, sondern ebenso der Privatsektor und andere Entwicklungsorganisationen. Wie bereits eingangs erwähnt, führen wir aktuell einen Prozess mit der Schweiz und einen weiteren in Österreich mit der “Austrian Development Agency (ADA)” und dem “Verein für globale Entwicklung (ICEP)” durch. Unser Ziel für die Zukunft ist dabei unseren Innovationsprozess auch mit weiteren Organisationen gemeinsam durchzuführen.
Außerdem stellen wir für Initator:innen und Interessent:innen neben unserer Beratung ein Handbuch und ein Toolkit zu unserem Innovationsprozess bereit und erhoffen uns eine weltweite Verbreitung. An dieser Stelle auch noch ein Appell an alle Entscheidungsträger:innen in der Entwicklungszusammenarbeit und interessierte Unternehmen – melden Sie sich gerne mit Herausforderungen, wie der Vermeidung von Lebensmittelverschwendung und Nahrungsmittelverlusten, bei uns. Wir freuen uns darauf, sie auf ihrem Weg zu innovativen und flexiblen Lösungsansätzen unterstützen zu können.