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mit Beiträgen von Louisa Nelle, Bruno St. Jaques, Sarah Kirangu-Wissler & Matteo Lattanzi
Einblicke junger Landwirte in die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die Ernährungssysteme in Subsahara-Afrika @CovidFoodFuture und Videotagebücher aus Nairobis informellen Siedlungen.
Im Rahmen des Projekts SEWOH Lab hat TMG Research gemeinsam mit lokalen Partnern eine Reihe von Aktivitäten ins Leben gerufen, um nähere Einblicke in die Art und Weise zu gewinnen, wie ärmere Segmente der afrikanischen Gesellschaften südlich der Sahara die Auswirkungen der Pandemie erleben und mit der daraus resultierenden Unsicherheit hinsichtlich Arbeit, Einkommen sowie Nahrungsmittelproduktion und -versorgung umgehen.
Welche Bewältigungsmechanismen entstehen? Welche pragmatischen Mechanismen der Nahrungsmittelproduktion, -verteilung und -beschaffung werden von den Menschen erkundet und angewendet? Entstehen neue oder innovative Strukturen und Muster in der ländlichen oder lokalen städtischen und stadtnahen landwirtschaftlichen Produktion? Welche Strategien werden in den (informellen) Vertriebsketten von (lokal) produzierten Nahrungsmitteln angewandt? Und schließlich: Wie erhalten informelle Arbeiter*innen mit einem derzeit schwindenden Einkommen Zugang zu Nahrungsmitteln?
Übergreifendes Ziel der Aktivitäten ist es, einen einzigartigen und direkten Einblick in die Herausforderungen, Antworten und Lösungen aus der lokalen Perspektive zu geben. Im Mittelpunkt unseres Ansatzes stehen die Schlüsselakteure des lokalen Nahrungsmittelsystems: junge, städtische und stadtnahe Landwirte, Straßenverkäufer und informelle Händler sowie einkommensschwache Verbraucher. Gemeinsam repräsentieren sie eine Vielzahl von Perspektiven zu diesem Thema und tragen zu den sich abzeichnenden Diskussionen in verschiedenen nationalen Kontexten bei.
Unter dem Twitternamen @CovidFoodFuture, twittern junge Landwirt*innen in Südafrika, Madagaskar, Malawi, der Demokratischen Republik Kongo, Kenia, Äthiopien, Nigeria, Benin, Burkina Fasound dem Senegal mehrmals täglich über die Dynamik und die Entwicklungen in ihren nationalen und lokalen Ernährungssystemen. Zusätzlich zu den Tweets veröffentlicht jeder Teilnehmer auch eine Reihe längerer Beobachtungen zu den Entwicklungen des lokalen Ernährungssystems in seinem Land und seiner Stadt. Die Geschichten werden im Abschnitt COVID-19 FOOD/FUTURE auf der Medium-Website „Enabling Sustainability“ von TMG Research veröffentlicht. Dieser kontinuierliche Informationsfluss ermöglicht es, die Entwicklung der Krise auf dynamische Weise zu verfolgen und zu erkennen, wie Bürger*innen und Regierungen reagieren und sich in Echtzeit an die Auswirkungen der Krise anpassen.
Informationen, die in den ersten zehn Tagen des Monats April veröffentlicht wurden, haben deutlich gezeigt, wie sich Lockdowns und räumliche Distanzierung im Detail in den teilnehmenden SSA-Ländern ausgewirkt haben und wie die Menschen damit umgegangen sind. Die Beobachtungen der Teilnehmer*innen zeigten auf, dass sich für alle Akteur*innen des Nahrungsmittelsystems neue Herausforderungen abzeichneten, wobei Landwirte und Verkäufer aufgrund von Störungen in der Logistik spürbare Nachteile hatten. Auf der Seite der Produzierenden waren Ernteverluste eine der am häufigsten getwitterten Herausforderungen.
Panikkäufe verursachten kurzfristig Warenknappheit
Wir haben gesehen, dass verschiedene Aspekte zu Ernteverlusten geführt haben, sei es, weil die Landarbeiter*innen nicht zu den Feldern gelangen konnten, weil die Transportoptionen für die Ernte zwischen den Feldern und den Märkten auf das stundenlange Tragen von Waren reduziert wurden, oder weil die Märkte einfach geschlossen hatten. Zu Verlusten kam es zudem, weil Großkund*innen wöchentliche Bestellungen stornierten, sowie aufgrund der geringeren Kaufkraft eines beträchtlichen Teils der Verbraucher. Schließlich führte auch der Mangel an angemessenen Lager- und Kühleinrichtungen zu Verderb. Besonders davon betroffen waren Geflügelzüchter, Fischer sowie Obst- und Gemüsebauern. Mehrere Tweets sprachen sich für eine Lockerung bzw. Anpassung der Beschränkungen für diese Erzeuger*innen aus. Angesichts zunehmender Absatzbarrieren passten viele Erzeugergemeinschaften ihre Preise an.
Panikkäufe von Kunden verursachten eine vorübergehende Verknappung der verfügbaren Waren, welche sich später stabilisierte, aber durch einen Preisanstieg aufgrund von Grenzschließungen und internationalen Handelsbeschränkungen sowie auf lokaler Ebene durch zusätzliche Transportkosten abgelöst wurde; einige Einzelhändler hatten begonnen, private Fahrzeuge für den Transport der Ernte vom Feld zum Markt anzumieten. In allen Ländern deuteten die getwitterten Informationen darauf hin, dass COVID-19 und die damit verbundenen Maßnahmen die bestehenden Ungleichheiten hinsichtlich sämtlicher Aspekte der Ernährungssicherheit und Ernährungslage verschärfen würden. Es wurde festgestellt, dass jene Haushalte, die von der informellen Wirtschaft abhängig sind, besondere Schwierigkeiten hatten. Mehrere Tweets wiesen auf die große Zahl von Kindern aus diesen Haushalten hin, die jetzt auf die tägliche Schulspeisung verzichten müssen.
Schnell war eine Vielzahl von Reaktionen und Ad-hoc-Lösungen auf dem ganzen Kontinent zu beobachten. Abgesehen von der Nahrungsmittelhilfe und den Reaktionen der Nahrungsmittelbanken begannen mehrere Regierungen, NGOs und religiöse Vereinigungen mit der Planung und Durchführung einer gezielteren Verteilung von Lebensmittelpaketen an bedürftige Haushalte, zusätzlich zur Einrichtung von Solidaritätsfonds beispielsweise für die Beschäftigten im informellen Sektor. Große Märkte in den Hauptstädten wurden in Stadien oder andere weiträumige Veranstaltungsorte verlegt, sodass der Nahrungsmittelhandel unter Beachtung der räumlichen Distanzierung fortgesetzt werden kann. Ferner wurden Informationskampagnen beobachtet, die sich an (ländliche) Bauer*innen richteten, und in mehreren Ländern kauften Bauernverbände landwirtschaftliche Betriebsmittel oder Grundnahrungsmittel in großen Mengen ein, was sowohl die Angebots- als auch die Nachfrageseite des Marktes stabilisierte.
Mitte April gehörten digitale Lösungen für physische Barrieren zu den prominentesten Reaktionen, über die getweetet wurde. Digitale Plattformen und Kommunikationen wurden genutzt, um Menschen zu schulen oder den lokalen Lebensmittelhandel zu erleichtern. IKT und Mobiltelefone erwiesen sich als hilfreich, um es den Mitarbeitern von Beratungsstellen zu ermöglichen, ihre Dienstleistungen aus der Ferne zu erbringen, zum Beispiel hinsichtlich der Beratung zu Lagerungstechniken und der Preisgestaltung am Bauernhof. Die meisten getweeteten Lösungen wiesen jedoch darauf hin, dass eine Datenerfassung aus der Ferne und eine Stärkung der Überwachungssysteme erforderlich sei. Auf der Verbrauchsseite entstanden Online-Plattformen, um die Verbraucher*innen über den Zugang zu Lebensmitteln zu informieren und Probleme der physischen Zugänglichkeit zu überwinden. Abgesehen von digitalen Lösungen wurde zunehmend über praktische Interventionen berichtet.
Gegen Ende April wurden Initiativen weitergeführt, die sich an die arme Landbevölkerung richten und darauf abzielen, die Auswirkungen auf die Nahrungsmittelproduktion, den Marktzugang und die Beschäftigung in ländlichen Gebieten zu mildern. Es wurden Volkszählungen zur Ermittlung der schwächsten Bevölkerungsgruppen durchgeführt, direkte Geldtransfers operationalisiert und in einigen Regionen wurde die Erhebung von Steuern auf landwirtschaftliche Produkte ausgesetzt. In einigen Ländern wurden die Märkte wieder geöffnet, um die im informellen Sektor Beschäftigten zu entlasten und die Wirtschaft wieder anzukurbeln, während in anderen Ländern bereits ein schrittweiser Ausstieg aus dem Lockdown eingeleitet wurde.
In einer Reihe von Ländern wurden sowohl nationale als auch lokal unterstützte Initiativen rund um den städtischen Gartenbau, die Vieh-, Fisch- und sogar Bienenzucht ins Leben gerufen oder verstärkt - mit dem Ziel, die Ernährungsvielfalt so weit wie möglich aufrechtzuerhalten. In einigen Haupt- und Großstädten haben sich informell Beschäftigte nun als alternative Einkommensquelle auf den Obst- und Gemüsehandel von Tür zu Tür verlegt.
Videotagebücher aus Nairobi zeigen die Realität im Umgang mit Covid-19
Diese Aktivität dokumentiert, wie die verschiedenen Akteur*innen im Ernährungssystem Nairobis mit den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie umgehen. Der Schwerpunkt liegt auf einkommensschwachen Verbrauchern und auf den Sektoren innerhalb des städtischen Ernährungssystems, die für die Ernährungssicherung der städtischen Armen von zentraler Bedeutung sind, insbesondere auf der städtischen und stadtnahen Landwirtschaft sowie dem informellen Nahrungsmittelhandel- und -verkaufssystem.
Wir verwenden eine kollaborative visuelle Forschungsmethode, bei der wir acht (8) Personen mit Smartphones ausstatten und sie in die Lage versetzen, ihre persönlichen Erfahrungen und ihren Umgang mit der neuen Realität während der COVID-19-Pandemie in selbst aufgenommenen Videotagebüchern zu präsentieren. Die kurzen Videosequenzen, begleitet und ergänzt durch Erkenntnisse aus dem vertieften direkten Austausch mit den Teilnehmern, werden laufend auf der Medium-Website von TMG Research veröffentlicht.
Im Mittelpunkt unseres Ansatzes steht die Frage, zu welchen Nahrungsmitteln die Menschen in den informellen Siedlungen Nairobis Zugang haben, und wie sie diesen Zugang in Krisenzeiten erhalten. Wir möchten herausfinden, welche Rolle die städtische und stadtnahe Landwirtschaft und das informelle Ernährungssystem hier spielen (könnten), um einige der Herausforderungen in Bezug auf Ernährungssicherung und soziale Unruhen zu überwinden, die eine globale Pandemie wie COVID-19 mit sich bringt. Schließlich hoffen wir, Ansatzpunkte für Strategien zu finden, um das breitere Ernährungssystem Nairobis widerstandsfähiger gegen künftige Krisen zu machen.
Aus dem Material, das in den ersten drei Wochen dieser Aktivität gesammelt wurde, ergeben sich zwei wichtige Erkenntnisse. Die erste ist, dass unter den gegenwärtigen Umständen die städtische Landwirtschaft eine nachhaltige Lebensgrundlage in Nairobi sein kann, die die Ernährungssicherung und Ernährungslage der städtischen Bäuer*innen und ihrer Familien aufrechterhält. Städtische Landwirt*innen in Nairobi verfügen über ein Einkommen, das zwar niedriger als üblich ist, da die Nachfrage nach frischen und damit teureren Produkten geringer ist, das aber immer noch höher liegt als das Einkommen der Mehrheit der informell Beschäftigten, die ihre Arbeit verloren haben. Die städtischen Bäuer*innen können ihre Ernährungssicherung und Ernährungslage aufrechterhalten, da a) frische und nahrhafte Lebensmittel auf ihrem eigenen Hof verfügbar und zugänglich sind und b) sie über ein ausreichendes Einkommen verfügen, um andere Nahrungsmittel zur Ergänzung ihrer Ernährung zu kaufen.
Alex Sikina, städtischer Landwirt in Nairobis informeller Kangemi-Siedlung: „Ich habe mich auf den Anbau von einheimischem Gemüse spezialisiert, weil es nahrhafter ist und vielen Krankheiten vorbeugen kann. Außerdem erzielt es auf dem Markt bessere Preise. Während der Corona-Krise kaufen viele Verbraucher lieber billigeres, aber auch weniger nahrhaftes Gemüse wie Sukuma wiki. Meine Familie und ich essen hingegen nach wie vor das einheimische Gemüse, denn das baue ich selbst an. Auch wenn der Markt zurückgegangen ist, habe ich immer noch ein gewisses Einkommen.“
Als Zweites zeichnet sich die Erkenntnis ab, dass unter den nicht in der Landwirtschaft tätigen Bewohnern der informellen Siedlungen Nairobis das Einkommen und damit der Zugang das wichtigste Hemmnis für die Ernährungssicherheit darstellt. Viele Familien lassen Mahlzeiten aus und verzichten auf frische, nährstoffreiche Lebensmittel. Die Mehrheit der Bewohner der informellen Siedlungen Nairobis arbeitet in der informellen Wirtschaft. Durch den wirtschaftlichen Abschwung haben viele ihre Einkommensmöglichkeiten verloren. Vor der Pandemie gab die Bevölkerung mit mittlerem und niedrigem Einkommen in Nairobi bereits bis zu drei Viertel ihrer Einnahmen für Nahrungsmittel aus. Ohne Einkommen ist die Mehrheit der einkommensschwachen Bevölkerung nicht mehr in der Lage, ihren Nahrungsmittelbedarf zu decken. Da auf den Märkten weniger Nahrungsmittel zur Verfügung stehen und die Nahrungsmittelpreise gestiegen sind, ist das Haupthindernis das Geld für den Kauf von Nahrungsmitteln und damit den Zugang zu ihnen. Ein wichtiger zusätzlicher Faktor ist hier, dass die Familien nun (zusätzliche) Nahrungsmittel für ihre Kinder im Schulalter bereitstellen müssen, die normalerweise Schulmahlzeiten einnehmen.
Die meisten Familien reduzieren also die Anzahl der Mahlzeiten, die sie pro Tag essen, und beschränken ihre Ernährung auf Grundnahrungsmittel wie Mais und Bohnen. Sie verzichten insbesondere auf frisches und nahrhaftes, aber teureres Gemüse. Mildred Bwasio, eine Bewohnerin der informellen Kangemi-Siedlung: „Corona hat sich nachteilig auf mich und meine Familie ausgewirkt. Alle meine Familienmitglieder sind jetzt zu Hause – acht Kinder, mein Mann und zwei Verwandte. Manchmal müssen wir das Mittagessen auslassen. Zum Frühstück kaufen wir einen Laib Brot und nehmen jeder eine Scheibe mit schwarzem Tee zu uns, weil wir uns Milch nicht mehr leisten können. Mein Mann, der als Wachmann arbeitet, kann nicht mehr zu den täglichen Mahlzeiten beitragen. Vor dem Coronavirus bekam er Trinkgeld von den Leuten, die in dem Bürogebäude arbeiten, in dem er Wache hält. Jetzt arbeiten sie von zu Hause aus. Es gibt keine Trinkgelder mehr.“
Die Videos und vollständigen Geschichten sind unter „Stories“ auf der Medium-Website von TMG Research verfügbar.
Dieser Artikel ist Teil von Covid-19 Food/Future, einer Initiative, die einen einzigartigen und direkten Einblick in die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf nationale und lokale Lebensmittelsysteme geben soll. Im Mittelpunkt unseres Ansatzes stehen die Erfahrungen von jungen, städtischen und stadtnahen Landwirten, Straßenhändlern und informellen Einzelhändlern sowie von Verbrauchern mit niedrigem Einkommen. Folgen Sie @CovidFoodFuture auf Twitter. Covid-19 Food/Future ist eine Initiative der TMG. ThinkTank für Nachhaltigkeit (www.tmg-thinktank.com), oder auf Twitter @TMG_think. Die Initiative wird vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) gefördert.