Wie Innovationen in die Welt kommen
Böden sind Basis der Produktion von 95 Prozent aller Nahrungsmittel. Gleichzeitig sind sie weltweit bedroht. Überlegungen zur Rolle der Entwicklungszusammenarbeit am Beispiel der Böden.

Ein Blick auf einige der weltweiten Entwicklungsindikatoren zeigt uns ein Bild, das zuversichtlich stimmt: Der Anteil der Menschen, die in Hunger und Armut leben, hat abgenommen. Die Einschulungsraten von Kindern und besonders von Mädchen steigen. Die Gesundheitsversorgung für junge Mütter und der Zugang zu Impfstoffen haben sich verbessert. Gleichzeitig müssen wir aber auch gegenläufige Entwicklungen verzeichnen: Die Bedrohung durch den Klimawandel, ein steigender Verbrauch natürlicher Ressourcen, der weit über ein nachhaltiges Niveau hinausgeht, oder die Zunahme der Anzahl bewaffneter Konflikte sind nur einige Beispiele für Trends, die Entwicklungsfortschritte wieder zunichte machen können. Wir müssen feststellen, dass in einigen Regionen Afrikas die absolute Zahl der Hungerenden steigt und die Zahl der fehlernährten Menschen weltweit auf über zwei Milliarden geschätzt wird.
Ein friedliches gemeinsames Zusammensein der Menschen dieser Erde erfordert, dass wir diesen neuen und alten Herausforderungen begegnen. Dies setzt Wissen, dies setzt neue Ideen und Initiativen voraus. Wir müssen unsere Technologien weiterentwickeln und benötigen soziale Innovationen, um uns den sich ändernden Rahmenbedingungen anpassen und diese mitgestalten zu können.
Innovationen für Ernährungssicherung
Wie entstehen die Innovationen, die uns dabei helfen sollen, Ernährungssicherung für eine wachsende Weltbevölkerung unter den Bedingungen des Klimawandels sicherzustellen? Bei dem Begriff Innovation kommt als erstes das Bild des Wissenschaftlers in den Kopf, der im Labor ertragreichere Pflanzen züchtet, verbesserte Medikamente für Tiere herstellt oder landwirtschaftliche Maschinen so weiterentwickelt, dass sie weniger Treibstoff benötigen. Studien zeigen, dass die Steigerung der landwirtschaftlichen Produktivität im globalen Vergleich ganz maßgeblich auf Innovationen zurückzuführen ist und weniger auf den steigenden Einsatz von Betriebsmitteln wie Dünger oder Bewässerung. Diese Art von Innovationen werden wir weiterhin benötigen, und es wäre fahrlässig, diese Art von Forschung nicht weiter systematisch zu fördern.
Wir benötigen aber auch soziale Innovationen: eine stärkere Anerkennung der Besitzrechte an Land von Frauen und anderen produktiven Ressourcen, auch Änderungen im Konsumverhalten oder neue Ansätze im Grundwasserschutz. All dies sind bekannte Herausforderungen, an denen sich die Verantwortlichen in Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft seit Jahren und teils Jahrzehnten die Zähne ausbeißen. Um sie anzugehen, benötigen wir andere Wege, Innovationen zu generieren.
Wandel durch Wissen - Wissen durch Wandel
Zuerst einmal handelt es sich um Innovationen, an deren Umsetzung viele Akteure beteiligt sind. Diese Innovationen können deswegen nicht abgeschottet von den politischen und sozialen Interessen entwickelt werden. Teilweise stellen sich die relevanten Fragen darüber hinaus im Prozess der Implementierung von politischen Programmen - wie zum Beispiel von Programmen zur Förderung der Ausstellung von Landtiteln im Namen beider Ehepartner. In einem anderen Kontext haben wir deswegen von „Wandel durch Wissen“ und „Wissen durch Wandel“ gesprochen. Die Transformationsprozesse selbst genieren die Forschungsfragen, die dann zu den Innovationen führen.
Es bedarf deshalb einer Wissenschaft mit der Gesellschaft. Im wissenschaftlichen Sprachgebrauch hat sich der Begriff der Transdisziplinarität etabliert. Im Grundsatz geht es darum, dass verantwortliche Akteure aus Politik und Zivilgesellschaft in den Prozess der Forschung eingebunden werden, um so Lösungen - Innovationen - zu entwickeln, die auf die Handlungsrealitäten der Verantwortlichen in Politik, Zivilgesellschaft und Wirtschaft angepasst sind.
Ein Beispiel: Bodenrehabilitierung für Ernährungssicherung
Im Vergleich zu Wasser ist die Bedeutung unserer Böden viel weniger im Bewusstsein verankert. Das ist überraschend. Denn Böden sind Basis der Produktion von 95 Prozent aller Nahrungsmittel, sie sind Heimat eines bedeutenden Teils der Biodiversität, speichern nach den Ozeanen die zweitgrößte Menge Kohlenstoff und sind ein bedeutender Faktor in der Bildung von Grundwasser. Gleichzeitig sind die Böden weltweit bedroht. Schätzungen gehen davon aus, dass wir 24 Milliarden Tonnen fruchtbaren Oberbodens jedes Jahr auf landwirtschaftlichen Nutzflächen durch Erosion verlieren. Durch die menschliche Nutzung sind manche Bodentypen sogar ganz verschwunden, sie sind „ausgestorben“. Die Konvention zur Bekämpfung der Wüstenbildung geht davon aus, dass durch diese Prozesse weltweit mehr als eine Milliarde Menschen betroffen sind.
Gleichzeitig nehmen die Anforderungen an unsere Böden zu: Böden sollen so genutzt werden, dass sie uns helfen, den Klimawandel abzumildern; sie sollen Biomasse bereit stellen, um so nicht erneuerbare Ressourcen zu substituieren; und sie sollen so genutzt werden, dass auf ihnen Nahrungsmittel für eine wachsende Weltbevölkerung mit steigenden Konsumansprüchen hinsichtlich tierischer Produkte produziert werden können.
Um diesen Anforderungen angesichts der Degradationstrends gerecht zu werden, bedarf es zweierlei: Böden müssen nachhaltig bewirtschaftet und degradierte Böden rehabilitiert werden und Böden müssen verantwortlich verwaltet werden, das heißt die Rechte an fruchtbaren Böden müssen gerecht und im Sinne der Nachhaltigkeit zugeteilt werden.
Beide Handlungsfelder, die Bodenrehabilitierung und die verantwortungsvolle Regierungsführung im Landbereich, bedürfen Innovationen zu ihrer weiteren Umsetzung. Technologische Innovationen, aber auch soziale Innovationen im oben diskutierten Sinn.
Hierzu ein Beispiel: Es existieren viele Maßnahmen, mit denen die Fruchtbarkeit der Böden wieder hergestellt werden kann. Doch sie werden in der Regel nicht breitenwirksam angewandt. Technologien sind darauf ausgelegt, dass mehr Arbeitskraft zur Verfügung steht, als eine Familie bereit stellen kann - nicht zuletzt in Zeiten zunehmender Binnen- und Außenmigration; die landwirtschaftlichen Beratungssysteme sind nicht auf die Bedürfnisse ernährungsunsicherer Haushalte ausgerichtet oder die Ausgestaltung der Landrechte macht es Frauen, jungen Menschen oder Migranten fast unmöglich, in den Erhalt oder den Aufbau von Bodenfruchtbarkeit zu investieren. Diese Hindernisse sind bekannt, genauso wie generelle Einsichten, wie ihnen zu begegnen ist. Es fehlt aber häufig an den lokal angepassten sozialen Innovationen. Sie lassen sich nicht am Schreibtisch oder im Labor gestalten. Zu ihrer Identifikation bedarf es der gemeinsamen Forschung von Wissenschaftlern und anderen Akteuren. Es bedarf Wissenschaft mit der Gesellschaft.
Die Rolle der internationalen Zusammenarbeit
Das Beispiel der Böden eignet sich ausgesprochen gut, um die mögliche Rolle der internationalen Zusammenarbeit bei derartigen Innovationsprozessen zu diskutieren. In Abstimmung mit den Partnerregierungen sind zwei Beiträge von Akteuren der internationalen Zusammenarbeit denkbar:
- Agenda-Setting: Das Thema Böden zeigt, dass Themen von großer Bedeutung für die Ernährungssicherung nicht notwendigerweise ganz oben auf der Agenda der politisch Verantwortlichen stehen. Durch gezielte entwicklungspolitische Programme zu diesen Themen lässt sich ein Momentum und Offenheit für die Bearbeitung solcher Themen schaffen. Ohne ein solches politisches Momentum sind Innovationsprozesse deutlich schwieriger durchzuführen. Darüber hinaus stoßen derartige entwicklungspolitische Programme die Wandlungsprozesse an, die die Basis für die Identifizierung der relevanten Forschungsfragen bilden.
- Unmittelbare Förderung von Innovationsprozessen: Es dauert Zeit, bis soziale Innovationen gefunden sind. Akteure müssen beteiligt werden; die Voraussetzungen für die Partizipation benachteiligter Gruppen müssen geschaffen werden und es Bedarf Zeit, um Ideen auszuprobieren. Lernen aus Fehlern ist eine zwingende Voraussetzung für Innovation, die ewig wiederkehrende Publikation von Erfolgsfällen eher weniger.
Mit der Sonderinitiative „Eine Welt ohne Hunger“ und der darin eingebetteten Begleitforschung, die in enger Abstimmung mit den Durchführungsorganisationen agiert, ist eine wichtige Voraussetzung für derartige Innovationsprozesse geschaffen worden. Diese gilt es nun, systematisch zu dokumentieren und auszuwerten, um aus der Innovation „Sonderinitiative“ auch die Schlüsse für die weitere Arbeit des Bundesministeriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu ziehen.
Ein Ausblick
Der Zustand unserer Böden steht beispielhaft für die eingangs erwähnten Herausforderungen, an denen der weltweite Fortschritt in der Hunger- und Armutsbekämpfung scheitern könnte. Um diesen Herausforderungen zu begegnen, sind konzertierte entwicklungspolitische Programme dringend erforderlich. Die internationale Zusammenarbeit kann in enger Kooperation mit ihren Partnern zentrale Impulse setzen und die Wege zur Umsetzung der entsprechenden Programme aufweisen.
Da uns die konkreten Ansätze häufig nicht bekannt sind, um den Herausforderungen unter bestimmten lokalen Gegebenheiten zu begegnen, zum Beispiel des Bodenschutzes, muss die internationale Zusammenarbeit ihre Rolle in Innovationsprozessen weiter stärken. Dabei ist auch die Einbindung der Wissenschaft zwingend erforderlich. Einer Wissenschaft allerdings, die sich dem Dialog mit anderen Akteuren nicht entzieht, sondern ihn als integralen Bestandteil der Forschung - und nicht nur der Anwendung der Forschungsergebnisse - begreift.